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Wiener Schmäh 2.0

  • Autorenbild: Ernst Macher
    Ernst Macher
  • 12. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit

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Nöhlers Ausscheiden bei den DigITellers löste bei vielen Mitarbeiterinnen großes Bedauern aus. Hoppenstett stellte hingegen erfreut fest, dass sich die Hardware-Umsatzzahlen in der Region Nord und der Region Ostösterreich exzellent entwickelt hatten. Alle Dashboards leuchteten nun hellgrüner als der Wienerwald nach einem sanften Frühlingsregen. Wie „Laissez-Faire“-Fan Nöhler das hinbekommen hatte, war ihm noch immer ein Rätsel. Seinem Verkaufspersonal war es jedenfalls gelungen, den Scherbenhaufen, den Gruber drei Jahre zuvor hinterlassen hatte, zu kitten und der Marke „DigITellers“ im Bereich Hardware beinahe so etwas wie Glamour einzuhauchen. Softwareseitig sah es allerdings düster aus. Das Wiener Team zählte gerade einmal neun Leute. Die Vertriebsspitzen Immel und Hauser führten eine U-Boot-Existenz, und dem österreichischen Supportleiter, einem gewissen Ogris, eilte im Allgemeinen ein Ruf von „Genie und Wahnsinn“ voraus. Das interne Personalblatt wies ihn als IT-Wunderwuzzi, Kettenraucher, leidenschaftlichen Quantenphysiker, Ludwig Van Beethoven-Aficionado, Rockfan sowie Rapid Wien-Anhänger aus.

 

Im Detail betrachtet beherrschte der Mann die Programmiersprachen PHP, C++, Java, INTERCAL, Haskell, Prolog sowie Malbolge, wobei er letztere (sie galt als das Sanskrit unter den Programmiersprachen) in weniger als einem Jahr gelernt hatte. Quantenphysik rundete im technisch-mathematischen Bereich sein Wissen ab.

Ogris‘ Faszination für Beethoven war in diesem Zusammenhang nur auf den ersten Blick ein Widerspruch.

„Musik ist nichts anderes als der göttliche Ausdruck makelloser mathematischer Gleichungen“, erklärte er allen, ob sie es wissen wollten oder nicht. Die meisten wollten es nicht wissen. So ergriffen Hauser und Immel bei seinen Ausführungen in der Regel die Flucht. Abseits von musikalischen Kadenzen, Fugen oder Rondos teilten sie jedoch seine Liebe für ehrliche Rockmusik und Fußball. Ogris war seit mehr als zehn Jahren Mitglied beim Fanclub Ultras Rapid und versäumte niemals ein Heimspiel.

Aber auch philosophisch ließ sich Ogris nicht lumpen. Das Science-Fiction-Jahrhundertwerk „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams war ihm Trost und philosophischer Unterbau zugleich und half ihm, mit dem Schwachsinn, der ihn umgab, einigermaßen zurechtzukommen. Das hatte auch modische Konsequenzen. Ogris‘ Garderobe umfasste insgesamt zwölf schwarze Sweater, die allesamt die Zahl „42“ trugen. Diese war, zumindest in seinem Lieblingsbuch, die Antwort auf alle Fragen des Universums.

 

Von etwaigen Expansionsplänen seines CEO wusste der vielseitig Interessierte indes dennoch wenig. Ogris war, während Hoppenstett in Frankfurt dessen Personalblatt studierte, gerade im Keller seines Hauses, in dem er sich vor drei Jahren ein Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Dieses diente ihm als Rückzugsort, Erholungsoase und Denkfabrik. Weder seine Frau Monika noch irgendwelche Fremden durften es betreten – was aber ohnehin niemand wollte. Ogris war nämlich der Inbegriff des chaotischen Kettenrauchers. In seinem Refugium stank es wie in einer Selchkammer und sah es aus wie in einem Saustall.

„Oida“, seufzte der Tausendsassa, nachdem er sich gerade gedankenverloren eine weitere Zigarette angezündet hatte. Nach einem weiteren Horrortag im Supportcenter sollte er nun noch einen Gaming-PC für Weber, seinen Nachbarn, zusammenbauen. Bis morgen musste das Ding fertig sein, wobei Ogris gerade einmal die Vorarbeiten erledigt hatte. Arbeitsspeicher und Prozessor lagen staubfrei auf dem Mainboard, und sogar auf den Potenzialausgleich der Einzelkomponenten hatte Ogris nicht vergessen. Nun galt es, diese fachgerecht in das Gehäuse zu schrauben und anschließend die Festplatte und das Netzteil des Supercomputers zu verbauen. Genau in diesem Moment passierte aber das Malheur: Irgendetwas kitzelte Ogris in der Nase, er schloss die Augen, und nur Millisekunden später ergossen sich tausende winzige Nieströpfchen auf die sensible Hardware. Doch damit nicht genug. Auch der übervolle Aschenbecher neben dem PC-Gehäuse wurde von Ogris‘ Niesanfall erfasst, und so verteilten sich insgesamt fünf Zigarettenkippen und ein Haufen feinster Asche gleichmäßig über das Mainboard.

„Oida, so a Schas!“ entfuhr es Ogris daher emotional durchaus nachvollziehbar, und er trommelte mit den Fäusten so fest auf den Schreibtisch, dass zwei seiner vier Monitore umkippten. Weber war schuld an dem Desaster. Wenn dieser ihn beim letzten Rapid-Match nicht mit so großem Nachdruck gebeten hätte, für ihn einen Supercomputer zusammenzubauen, wäre das alles nicht passiert. Das hatte er nun davon! Ob er die Asche und die Zigarettenstummel mit einem Staubsauger wegbekäme, war ungewiss, und so zündete er sich zur Beruhigung eine weitere Zigarette an.

 

„Das macht ja alles null Sinn“, dachte sich Hoppenstett indes in Frankfurt, nachdem er das Personalstammblatt von Ogris studiert hatte. Ohne einen neuen Niederlassungsleiter wäre ein Durchstarten in Wien unmöglich - das wurde ihm nun allzu schmerzlich bewusst. Doch woher nehmen und nicht stehlen? Gerade einmal drei Kandidaten hatten sich in den letzten Monaten auf eine probehalber geschaltete Job-Annonce gemeldet, wobei sich die ersten zwei mit der Frage „Sie haben mit dieser Krypto-Bude aber nichts zu tun, oder?“ sofort disqualifiziert hatten. Das Profil des dritten Bewerbers hatte allerdings nicht uninteressant geklungen, und so beschloss Hoppenstett das Ganze eben selbst in die Hand zu nehmen. Er erklärte das Recruiting des neuen Vertriebsleiters zur Chefsache und vereinbarte bereits am nächsten Morgen mit dem verbleibenden Kandidaten ein Treffen in Wien. Aufgrund seiner Schwäche für den „Wiener Schmäh“ freute er sich geradezu auf das Gespräch. Nun galt es nur noch die Frage zu klären, wo man in Wien das beste Schnitzel bekam. Zu dieser Frage kontaktierte er seine dortigen Vasallen.

„Nachricht oder nicht Nachricht – das ist die Frage. Sie sprechen mit der persönlichen Mobilbox von Gregor Hauser – DigITellers Österreich“, kam es Hoppenstett entgegen, als er die Mobilnummer des ersten Wiener Statthalters wählte. Dass der Mann offensichtlich Hamlet-Fan war, erstaunte den CEO der DigITellers, eine Nachricht hinterließ er trotzdem nicht. Auch bei Statthalter Nummer Zwei, Immel, hatte er kein Glück, und so kontaktierte er schließlich Ogris. Diesmal war er erfolgreich.

„Wer stört?“, kam es ihm vom österreichischen Supportleiter entgegen.

„Hohoho, Sie sind mir ja einer, Herr Ogris! Der berühmte Wiener Schmäh!“, antwortete Hoppenstett und stellte sich gut gelaunt als CEO der DigITellers vor. Dann schwärmte Hoppenstett von seiner Liebe zu Wien und verkündete die frohe Botschaft, dass er schon bald in die Bundeshauptstadt kommen würde.

„Schön für Sie“, antwortete Ogris, was Hoppenstett erneut „zum Brüllen komisch“ fand. 

„Ihr Wiener habt es ja wirklich faustdick hinter den Ohren“, meinte er begeistert. „Und können Sie mir auch verraten, wo es bei euch das beste Schnitzel gibt?“

„Naja, beim Figlmüller, im Landtmann oder beim Plachutta wird Ihnen ned schlecht.“

Wieder war Hoppenstett begeistert.

„Hohoho! Treiben Sie es aber nicht zu bunt, lieber Herr Ogris.  Mir liegt das Wienerische nämlich im Blut, und wenn ich das übernächste Mal nach Wien komme, bringe ich SIE zum Totlachen.“

„Oida“, dachte Ogris und fragte Hoppenstett, ob Deutsche zum Lachen wirklich in den Keller gehen. Als Schnitzelparadies empfahl er seinem CEO letztlich das Landtmann.

„Dort gibt’s ois – Schnitzel, Sisi-Flair und Wiener Schmäh!“, meinte er........................

 

 

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