Nöhlers amouröser Neustart
- Ernst Macher
- 12. Sept.
- 5 Min. Lesezeit

„Nöhler, setzen Sie sich! Ich muss ein ernstes Wort mit Ihnen reden!”
Aufgebracht wies CEO Hoppenstett den mit Abstand erfolgreichsten Business Development Manager der DigITellers an, Platz zu nehmen. Allzu lange hatte er sich vor diesem Gespräch gedrückt. Der letzte Skandal ließ ihm nun aber keine Wahl mehr. Die Stunde der Wahrheit war gekommen.
„Mit Vergnügen, Herr Direktor“, antwortete Nöhler und ließ sich betont lässig auf der beigefarbenen Couch im Büro seines Chefs nieder. Wie immer sah er fantastisch aus. Sein bordeauxfarbenes Sakko bildete einen harmonischen Kontrast zu seinen smaragdgrünen Augen, das graue Slim Fit-Flanellhemd betonte jeden Muskel seines durchtrainierten Oberkörpers, und die kunstvoll zerschlissenen schwarzen Jeans gaben ihm das Flair eines verwegenen Abenteurers. Was für ein Mann! Dass dieser Frauenschwarm zwei Jahre zuvor bei den DigITellers angeheuert hatte, war Rettung in letzter Sekunde gewesen. Quasi im Alleingang hatte er es geschafft, die damals geradezu komatöse Softwarefirma zu “reanimieren” und das einstige IT-Brachland zwischen Nord- und Ostsee zur Topregion zu machen. Wie er das hinbekommen hatte, war dem Management noch immer ein komplettes Rätsel. Durch besonderes Knowhow fiel Nöhler jedenfalls nicht auf. Trotzdem pulverisierte er im Monatstakt jeden Sales-Rekord, und die weibliche Belegschaft war felsenfest überzeugt, dass der grünäugige Adonis die süßeste Versuchung seit der Erfindung der Zuckerwatte war. Bald nannte man ihn allerorts den „schönen Thor“, da er aussah wie der Zwillingsbruder von Chris Hemsworth und überdies so charmant war wie George Clooney in seinen besten Zeiten. Alles im Leben hat aber auch eine Schattenseite. Anders ausgedrückt führte letztlich jenes Übermaß an maskulinem Lächeln, Muskelmasse und Testosteron zum Strafrapport beim CEO der DigITellers.
„Ich habe heute zwei Nachrichten für Sie“, begann Hoppenstett mit ernster Miene. „Wollen Sie zuerst die gute oder die schlechte hören?“
„Natürlich die gute! Mein Growth Mindset lässt mir gar keine andere Wahl“, antwortete Nöhler lässig.
Hoppenstett nickte.
„Also gut! Für Ihren Einsatz in der Region Nord sollten Ihnen die DigITellers eigentlich ein Denkmal errichten. Nördlich der Lüneburger Heide waren Sie unser Eisbrecher, unser rettender Engel, unsere Sales-Speerspitze, unser … Egal, jedenfalls brachten die 330% Zielerreichung endgültig den Turnaround. Gut gemacht! Die DigITellers sind nun back on track and ready to rock’n’ roll!“
Nöhler strahlte. Dass er den diesjährigen „Golden DigITellers-Award“ erhalten würde, hatte ihm Natascha, die attraktive Ferialpraktikantin aus der HR-Abteilung, bereits die Woche zuvor verraten.
„Ich wusste es!“, jubelte der King of Sales und riss begeistert seine muskulösen Arme in die Höhe. Das, was er in den letzten vierundzwanzig Monaten geleistet hatte, war tatsächlich phänomenal gewesen. Mit unbeirrbarem Sales-Instinkt hatte er das Niemandsland zwischen Nord- und Ostsee mit Tablets, Laptops, Smartphones und Handyhüllen IT-technisch auf Vordermann gebracht, und diese Ausnahme-Performance hatte schließlich zur Eröffnung des ersten DigITellers-Hardware-Stores mitten auf der Lüneburger Heide geführt. Weitere sechs Stores folgten, und so waren die DigITellers in einer Gegend, in der sich sonst Fuchs und Hase gute Nacht sagen, wieder dick da. Nöhler verkaufte und verkaufte. Zudem schaffte er es, das für die Stores benötigte Verkaufspersonal in Lichtgeschwindigkeit zu rekrutieren. Das katapultierte den Hardware-Umsatz endgültig in die Stratosphäre. Nöhler war Business Development Gigant, Recruiting-Champion und Motivationsgenie in einer Person.
Doch war nicht alles, was Hoppenstett seinem Goldjungen an jenem Tag mitzuteilen hatte, positiv.
Mit den Worten „Nun aber zum weniger Guten, Nöhler“ beendete der CEO der DigITellers schließlich seine Laudatio. Dann folgte eine Gardinenpredigt, die sich gewaschen hatte.
„Sie wissen, dass mich das Privatleben meiner Mitarbeiter im Allgemeinen nicht interessiert. Wenn die Geschichten, die man sich über Sie erzählt, aber nur ansatzweise stimmen, waren Casanova und Don Juan im Vergleich zu Ihnen Eunuchen mit Keuschheitsgelübde! Gibt es nördlich von Hamburg denn irgendeinen Rockzipfel, dem Sie noch nicht hinterhergejagt sind? Die Schamesröte treibt es mir ins Gesicht, wenn ich von Ihren Eskapaden höre! In Zeiten von ‚#MeToo‘ und ‚Female Power‘ hinterlassen Sie in praktisch jedem Store südlich von Ostfriesland einen amourösen Scherbenhaufen! Dabei haben Sie dieser Storemanagerin aus Hamburg doch erst letztes Jahr das Ja-Wort gegeben. Rita heißt die Bedauernswerte, nicht?“
Nöhler nickte.
„… und nur eine Woche später haben Sie sich an ihre Ferialpraktikantin heranrangemacht, oder?“
Wieder nickte Nöhler und senkte sein Haupt.
Hoppenstett schüttelte den Kopf.
„Haben Sie Ihren kleinen Benjamin denn überhaupt nicht unter Kontrolle? Ist Ihnen klar, dass Sie ein einziger Compliance-Verstoß sind? Sie haben Glück, dass bisher keine einzige Ihrer ‚Haremsdamen‘ ihre Dauerverfehlungen an reportit@digitellers.com gemeldet hat!“
Theatralisch zitierte Hoppenstett den Klappentext einer fiktiven Nöhler-Biografie, die ihm soeben in den Sinn gekommen war.
Vergessen Sie Casanova! Vergessen Sie Don Juan! Lesen und staunen Sie über Nöhler – seinen glorreichen Aufstieg und seinen tiefen Fall.
Nun seufzte auch Nöhler.
„Herr Direktor, Ich bin doch auch nur ein Mann. Wenn mich diese jungen Dinger mit ihren großen Augen bezirzen, wird mir ganz warm ums Herz. Ich möchte doch nur helfen. Ständig weinen sie sich bei mir aus, dass diese Klimakleber, Hardcore-Veganer und Scooter-Fahrer ja niedlich sind, sie aber einen echten Mann wollen. Und dann kommen sie immer mit diesem ‚Chris Hemsworth-Thor-Mist‘. Das Leben ist hart, Herr Direktor. Und mein Benjamin ist es leider auch sehr rasch.“
Hoppenstett verdrehte die Augen.
„Nöhler, es reicht! Aufgrund Ihrer innerbetrieblichen Liebesaktivitäten ist ein Verbleib in der Region Nord ab sofort ausgeschlossen!“
„Aber um Gottes willen! Sie wollen mich doch nicht …?“
„Nein, will ich nicht“, kalmierte Hoppenstett. „In Norddeutschland muss es mit der Vielweiberei aber ein Ende haben. Als letzten Ausweg kann ich Ihnen allerdings eine Versetzung anbieten!“
„Eine Versetzung?! Wohin denn, um Gottes willen?“, rief Nöhler erschrocken.
„Ösiland! Sie erhalten die ruhmreiche Aufgabe, die Wiener Niederlassung, die dieser Gruber vor drei Jahren gegen die Wand gefahren hat, wieder auf Vordermann zu bringen!“
„Ich soll in die tote Zone?!“
„Ach, haben Sie sich doch nicht so! Als begnadeter Business Development Manager schaffen Sie das! Sie ziehen mit Ihrer Rita in die Stadt der Operette, eröffnen fünf DigITeller-Stores und retten ganz nebenbei Ihre angeknackste Ehe. Über das Software-Geschäft müssen Sie sich keine Gedanken machen. Da unser Ruf wegen des damaligen Desasters noch immer nicht der beste ist, bleiben wir diesbezüglich noch eine Zeitlang auf Tauchstation. Wir haben in Wien sogar ein kleines Büro. In dem halten ein IT-Administrator und zwei altgediente DigITellers die Stellung. Die Welt werden wir mit denen nicht erobern. Aber sie geben unserer Marke ein wenig Lokalkolorit, und bald wird Gras über die Sache gewachsen sein. Selbstverständlich können Sie das Office ebenfalls nutzen. Ich nehme aber an, dass Sie ohnehin viel on the road sein werden. Fünf Stores in einem Jahr sind sportlich, aber machbar. Sie kennen meine Devise: Klotzen, nicht kleckern!“
Entsetzt starrte Nöhler seinen Chef an.
„Aber was wird dann aus Mona aus Kiel, Antje aus Hamburg, Vanessa aus Flensburg und Ute aus Lübeck? Ich kann sie doch nicht alle im Stich lassen. Das Herz werde ich ihnen brechen! Es muss doch noch eine andere Möglichkeit geben!“
„Nein, die gibt es nicht! Ihr Benjamin wird in der Region Nord keine Unruhe mehr stiften. Entweder es heißt ab sofort ‚Alles Walzer‘, oder Sie können als Ex-DigITeller Ihre Liebesmemoiren zu Papier bringen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
Eine dicke Träne lief Nöhler nun über die rechte Wange.
„Die arme, arme Mona“, murmelte er noch, bevor er das alternativlose Angebot seines Chefs akzeptierte.............


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