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Nur die Harten kommen in den Garten

  • Autorenbild: Ernst Macher
    Ernst Macher
  • 12. Sept.
  • 6 Min. Lesezeit

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Die Lage war mehr als angespannt. Das vierte Quartal hatte bei den DigITellers nicht den erhofften Umschwung gebracht, und als Gruber am siebenten Januar das erste Strategiemeeting des Jahres eröffnete, war von Feierlaune weit und breit keine Spur.

„Meine Herren - und natürlich auch Sie, Frau Danner“, begann er, „wir sind uns alle im Klaren, dass das letzte Geschäftsjahr nicht nur hinter den Erwartungen geblieben ist, sondern schlichtweg eine Katastrophe war. Ein Umsatzrückgang von fünfzig Prozent in einem Markt, der aus dem Feiern nicht rauskommt! Reklamationen am laufenden Band und dann noch eine Kündigungswelle, die es mit einem Tsunami aufnehmen kann! Ja, klar – die Geschichte mit dem Gabler war nicht ideal! Dass der Freudensprung dieses Ding gedreht hat, war auch unnötig. Aber muss ich wirklich für jeden Blödsinn der Germanen büßen? Wenn das so weiter geht, heißt es bald: Der letzte dreht das Licht ab! Irgendwelche Vorschläge?“

Aumann seufzte und vergrub die Stirn in beiden Händen.

„Also seit dem letzten Leadership-Training bin ich sicher, dass es nicht an uns liegt. Es sind diese Junior Consultants! Sie wollen einfach nicht mehr die Extrameile gehen. Der eine redet schon beim Einstellungsgespräch von Burnout-Prävention, der andere faselt etwas von Wokeness, der dritte akzeptiert nur 100% Homeoffice. Wohin soll das noch führen?“

 

Auch Berger ließ an diesem kalten Januartag seinen Gefühlen freien Lauf.

„Aumann, Sie haben zumindest ihre Tekkie-Fuzzis!“, meinte er. „Seitdem die Teutonen über unser Marketingbudget bestimmen, muss ich mich für jeden Euro rechtfertigen. Letzte Woche hat mir der neue Marketingchef, dieser Trüb, geschrieben, dass – ich zitiere – ‚die Ösis Marketingbudget so dringend brauchen wie Eskimos einen Kühlschrank‘.  Rassistische Aussetzer hat der also auch! Alle Veranstaltungen haben sie mir für dieses Jahr gecancelt und gemeint, dass ich mich eben um die low hanging fruits kümmern und Success-Stories bauen soll. Ich frage mich nur, von welchen Stories er spricht! Seitdem der Zoller nicht mehr bei der Epikurbank ist und der Ebner nicht mehr bei der Lorenzversicherung, singt niemand mehr ein Loblied auf die DigITellers. Beim Produktmanagement ist es noch schlimmer. Es ist erfolgsversprechender, an den Weihnachtsmann zu glauben als an ein innovatives Produkt aus dem Headquarter!“

 

„Das ist alles nichts gegen meine Situation“, stieß nun auch Schwarz ins selbe Horn. Auch er hatte schon bessere Tage gesehen. Nachdem das Customer Service-Team Anfang Dezember fast vollständig gekündigt hatte, schob dieser nun Nachtschichten und meldete sich am Telefon situationselastisch als „Customer Serviceleiter Schwarz“ oder als „First Level Support Schwarzl“. Siebzig Prozent aller Beschwerden gingen darauf zurück, dass die meisten Consultants von einem Tag auf den anderen gekündigt hatten und das Dreamteam Eibl & Glück keine geeigneten Leute fand. Unlustig war das Ganze – höchst unlustig! Die restlichen dreißig Prozent gingen auf ein Entwicklungsframework zurück, das das Headquarter nur drei Monate zuvor als FinTech Trading Platform Version 1.0 gelauncht hatte.

 

Hauser hatte das Ding, welches den klingenden Namen Krypto King trug, durch Zufall auf der Preisliste entdeckt und Brunner – seines Zeichens CIO der Vienna Capital Invest – Ende November als FinTech-Revolution verhökert. Erneut war der Tatort des Unterschriftverbrechens der Don Juan-Nachtclub, und wieder war dieses fünf Long Island Iced Teas zu verdanken gewesen. Um vier Uhr morgens hatte Hausers neuer bester Freund seine Unterschrift unter den Crypto King Version 1.0 Vertrag gesetzt und im Office damit Furore gemacht.

 

Gruber lobte Hausers beeindruckendes Gespür für Innovationen und versprach ihm, die Provisionen, die er ihm ob des Ebner-Desasters ursprünglich gestrichen hatte, nun doch auszuzahlen. Bald schlug die ursprüngliche Begeisterung aber in Ernüchterung um. Die Vienna Capital Invest musste erkennen, dass die Plattform doch nicht von selbst tradete. Das hatte Hauser nämlich hoch und heilig versprochen. Crypto King 1.0 war lediglich die Betaversion einer Trading-Software, an der sich ein Ferialpraktikant versucht hatte. Die Plattform war nie durch einen Quality Assurance Check gegangen, und als der Kunde mit „Auftrag“ drohte, schlug man in Frankfurt die Hände über dem Kopf zusammen. Wie hatte das nur passieren können? Trotzdem wollte man das Ding durchziehen und versprach dem Kunden Extended Support. Leider fehlte es dafür aber an Personal, und so musste schließlich das situationselastische Support-Team Schwarz/Schwarzl die Suppe auslöffeln. Das Projekt stand auf Messers Schneide. Mehrfach drohte die Vienna Capital Invest mit dem Rechtsweg – ein Vorhaben, das auch Hausers Freundschaft zu Brunner belastete.

Grubers Ansage „Der Letzte dreht das Licht ab“ spukte an jenem siebenten Januar daher wie ein Geist durch das Konferenzzimmer der DigITellers.

Von „dunklen Wolken am Horizont“ war die Rede, und selbst die Tatsache, dass Gruber es an diesem Tag unterließ, allzu laut zu schreien, machte die Sache nicht besser. Die Ist-Analyse auf dem Flipchart zeigte ein düsteres Bild:

 

·       Halbfertige Produkte und fehlende Abgrenzung zur Konkurrenz

·       Kein Support

·       Personalschwund, dennoch zu hohe Fixkosten

·       Fehlendes Marketingbudget

·       Inkompetentes Verkaufspersonal

 

„Oh weh, oh weh, oh weh“, jammerten Gruber, Aumann und Schwarz im Chor, als sich plötzlich Meisner, der eben erst rekrutierte Partner Channel Manager der DigITellers, zu Wort meldete.

 „Klingt wie eine perfekte Basis für Multilevel Marketing“, meinte dieser.

„Multi was?“, fragte Gruber, und auch die erweiterte Geschäftsführung der DigITellers schaute interessiert auf.

Multilevel- oder auch Network Marketing“, wiederholte Meisner und ging dann zur Überraschung aller zum Flipchart.

„Schauen wir uns doch nochmals diese „Crypto King 1.0“-Software an. Was macht mehr Spaß – ein minderwertiges Produkt zu kaufen oder zu verkaufen?“, fragte dieser.

„Natürlich zu verkaufen. Darin sind wir absolute Champions“, antwortete Gruber wie aus der Pistole geschossen.

Aumann, Berger und Schwarz nickten.

„Gut, dann sind wir uns da ja einig. Und beim Network Marketing geht das perfekt! Das Produkt selbst ist nicht so wichtig. Es geht darum, dem Käufer etwas zu verscherbeln und ihm die Möglichkeit zu geben, es weiterzuverkaufen.“

„Was soll der Blödsinn, Meisner? Warum soll jemand ein mieses Produkt kaufen und es dann noch empfehlen??!“, unterbrach Gruber den Begeisterung ausstrahlenden Partner Channel Manager.

„Weil er eine Provision dafür bekommt?“

„Wieder so ein Blödsinn, Meisner! Nochmals: Warum soll irgendein CIO – bleiben wir beim Brunner von der Vienna Capital Invest – ein minderwertiges Stück Software kaufen, für die er uns nun klagen will, und dieselbe Software weiterverkaufen?“

„Vielleicht tut er es, wenn wir ihm als Privatmann kostenlos eine „Private Crypto King Trading Edition“ zur Verfügung stellen, die er unter eigenem Namen verkaufen kann. Er ist dann Partner von uns, verzichtet natürlich auf eine Klage und verdient sich mit den Partnern unter ihm eine goldene Nase.“

Pathetisch malte Meisner mit der rechten Hand seine Krypto-Vision in die Luft des Konferenzraums.

 

 

„Krypto King = Trade Dich reich,

ohne einen Finger zu krümmen“

 

„Also ein Switch von B2B auf B2C? Eine Trading-Plattform, die allen offensteht?“, fragte Gruber nun schon interessierter.

„Genau!“, antwortete Meisner stolz. „Jeder darf auf der Plattform traden und sie auch weiterverkaufen. Es besteht keine Ausweispflicht und niemand muss über einen Befähigungsnachweis verfügen. Unseren eigenen Coin, den DigIT-Coin, werfen wir dann auch noch auf den Markt. Den kann man nur mit der ‚Private Edition‘ traden - ein weiteres Alleinstellungsmerkmal. Am Schluss sind alle glücklich: Klage fallengelassen, alle verdienen eine stattliche Provision, und niemand kommt mehr auf die Idee, die Produktqualität zu kritisieren. Das ist Network Marketing in Reinkultur!“

Erwartungsfroh blickte Meisner Geschäftsführer Gruber in die Augen.

„Also ich weiß nicht. Niemand in diesem Raum ist ein Kind von Traurigkeit, aber das, was Sie da vorschlagen, ist schon ein starkes Stück. Wieso kommen Sie nicht gleich mit der Idee, im Keller der DigITellers Geld zu drucken?“, fragte Gruber sichtlich beeindruckt.

„Weil Gelddrucken illegal ist. Aber eine Trading- Plattform bauen, einen eigenen Coin erfinden, Schulungen anbieten und das mit Network Marketing zu verhökern – das ist legal!“  

„Und wie sieht es aus mit den Themen Interessenskonflikt, Verletzung interner Sorgfaltspflichten, Bestechung etc.? “, unterbrach Gruber den neuen Partner Channel Manager erneut.

„Naja, die Teutonen sollten da nicht so viel mitbekommen. Vielleicht geht es als ausgegliederte Firma ...?“

„Meisner, nachdem Sie den Probemonat schon überstanden haben und ich so schnell keinen Ersatz bekomme, setze ich Sie jetzt nicht auf die Straße. Der Blödsinn kommt aus mehreren Gründen nicht in Frage: Erstens muss ich jede Woche an die Teutonen reporten, und die lynchen mich auf der Stelle, wenn ich mit so einer Idee daherkomme. Zweitens gehört dieses Krypto-Ungetüm nicht uns. Wir können das Ding nicht in Eigenregie verkaufen!“

Meisner senkte nun enttäuscht den Kopf und ließ es gut sein.

 

Im Konferenzzimmer der DigITellers kehrte erneut gespenstische Ruhe ein.

„Oh weh, oh weh, oh weh“, jammerten Gruber, Aumann, Berger, Schwarz und nun auch Meisner im Chor. Es war schließlich die Danner, die der geknickten männlichen Führungsriege wieder Hoffnung einflößte.

"Tun wir doch mal so, als würden uns die Deutschen lassen“, schlug sie vor, und tatsächlich fand man auf die deprimierende Ist-Analyse an diesem Tag noch einige interessante Antworten:

 

·       Mangelhafte Produktqualität oder halbfertige Produkte

->  Produktqualität wird überschätzt. Es zählt die Begeisterung und die Provision beim Weiterverkauf

·       Inkompetentes Verkaufspersonal

->  Inhalte sind nicht so wichtig. Ein Verkauf über Produktfeatures ist nicht notwendig. Es zählt die Vision von Reichtum

·       Fehlendes Marketingbudget

->  Jeder Partner ist selbständig und macht sein eigenes Marketing

·       Mangelhafter Support

-> Verlegung auf Marshall-Inseln oder Bermudas von Vorteil

 

Restlos überzeugt war Gruber von Meisners Multi Level Marketing-Ausführungen im Bereich Crypto Currency Trading nicht, doch rang ihm dessen Fähigkeit, out of the box zu denken, Respekt ab.

„Meisner, ich muss zugeben, dass Sie mich beeindruckt haben. Wenn ich den Nachfolger vom Freudensprung, diesen Hoppenstett, nicht ständig an der Backe hätte, würde ich Sie glatt mit dem Channel Management und dem Produktmanagement dieses Krypto-Dings betreuen“, meinte Gruber und erklärte das Meeting dann für beendet..........

 

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